Entwürfe

hobvias sudoneighm via flickr

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Ich steh auf niemanden.exe – deleted.

Ich steh auf Frauen.exe – deleted.

Ich könnte bi sein.exe – deleted.

Ich bin heterolike.exe – deleted.

Ich bin schwul aber das macht mich nicht aus.exe – delete?

Seit Jahren schreibe ich Lebensentwürfe. Sie sind wie ausführbare Datein in meinem persönlichen Ordner „Begehren“ und sie werden vom Programm „Identität“ abgespielt. Die gelöschten Dateien sind überholt. Sie belasten nicht mehr meinen Arbeitsspeicher. Aber sie verbleiben irgendwo als Sicherungskopie – als wichtige Erinnerung.

Heute ist internationaler Coming Out Day. Das ist die Gelegenheit für mich, mal wieder daran zu erinnern, dass ein Coming Out nicht an einem Tag passiert. Dass es immer wieder erneut nötig wird. Mit dem Coming Out ist man nie fertig – es wird nur einfacher. Und man lässt nichts zurück, nichts geht verloren, wenn man sich outet. Die verworfenen Dateien bleiben da und machen uns komplex und wunderschön. Ich hoffe, dass das Leuten helfen kann, die noch mit sich ringen.

Natürlich ist das erste Mal das schwerste. Denn beim ersten Mal kommt man nicht nur gegenüber der Person raus, der man sich anvertraut, sondern auch gegenüber sich selbst. Man hört sich zum ersten Mal die Worte laut sagen: „Ich + bin + ******“ und lernt, wie sich das anhört, so außerhalb des eigenen Kopfs. Wie der Satz durch die Welt da draußen getragen wird und wieder bei den eigenen Ohren ankommt. Wie der Körper drauf reagiert, welcher Teil sich verkrampft, welcher sich entspannt. Und wie man hinterher immer noch da ist, immer noch lebt, atmet und Hunger hat. Wie man immer noch man selbst ist – vielleicht sogar ein bisschen mehr.

Es folgt Euphorie, es folgt Akzeptanz, es folgt Normalisierung. Und dann folgen Kompromisse. Denn beim Coming Out ist man nicht als fertige neue queere Person geboren worden, die man dann für immer bleibt. Coming out ist keine Release Party für eine neue Erfolgsmarke. Es ist ein erster Schritt, der wichtigste, aber nicht der letzte.

Ich selbst bin nach meinem ersten Coming Out Kompromisse eingegangen. Ich habe mich gefreut über die, die mich akzeptierten, weil ich „nicht so tuntig“ sei. Ich ernährte mich vom „Das hätte ich aber nicht gedacht“. Ich leierte homophobe Sprüche à la „ich steh auf Männer, die wie Männer aussehen“ herunter. Und ich mied die Szene. Ich hatte Angst vor  ihren und meinen Fetischen, vor ihrer und meiner Unsicherheit – vor dem kompletten Verlust des Zertifikats „normal“. Und so habe ich auch nach dem Coming Out immer neue Entwürfe angelegt, neue ausführbare Dateien, die dieses ein- und jenes ausschlossen.

Und [Spoiler Alert] ich bin nach wie vor nicht fertig. Ich hab immer noch nicht meine endgültiges queeres Ich gefunden. Diese Person, von der implizit verlangt wird, dass man sie kennt, wenn man sich outet. Ich bin immer noch auf der Suche, habe meine Ängste und Ismen und taste mich an das Unbekannte heran. Jeder Schritt auf diesem Weg hat mich zufriedener gemacht als ich im Closet jemals hätte sein können. Aber ich vergesse nicht ganz, wer ich vorher war, nicht den Sich-versteckenden, nicht den Verklemmten, nicht den Homophoben. Ich versuche nicht, sie aus meiner Geschichte zu streichen.

Und das würde ich von Menschen im Coming Out auch nicht erwarten.

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